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Lisa Hullmeine

Dissertationsprojekt: Der Querulantenwahnsinn in der zeitgenössischen Fachdiskussion.

Unter einem Querulanten versteht man heutzutage wohl am ehesten einen Nörgler, einen verschrobenen Kauz, misstrauisch, alles hinterfragend, besserwissend. Er schreibt Leserbriefe oder zieht unermüdlich vor Gericht, meist angetrieben von der festen Überzeugung, dass ihm schweres Unrecht widerfahren sei. Querulanten sind uns manchmal aber auch deshalb unliebsam, weil sie einen Missstand beklagen, während es ihrem Umfeld bequemer ist, zu schweigen.

Die Bezeichnung „Querulant“ lässt sich ableiten aus dem lateinischen „queri“, das so viel bedeutet wie „vor Gericht klagen“ – und stammt somit ursprünglich aus dem Rechtswesen. Bemerkenswert ist, dass der Wortherkunft jegliche pejorative Bedeutung des Über-Mäßigen fehlt. Dies ändert sich mit der „Allgemeinen Gerichtsordnung der Preußischen Staaten“ von 1793, die im §30 eine Sanktionierung gegen Querulanten vorsieht, die Behörden und Gerichte in übertriebener Art und Weise in Anspruch nehmen. Der Rechtsmediziner Johann Ludwig Casper rückt Querulanten schließlich in seinem „Practischen Handbuch der gerichtlichen Medicin“, erstmals erschienen 1858, als „Wahnsinnige aus Rechthaberei“ in das Blickfeld der Medizin.

Mit diesen beiden „Meilensteinen“ ist die Grundlage für einen jahrzehntelangen Fachdiskurs gelegt, der Querulant ist nun in zweierlei Hinsicht eine deviante Figur: Er ist Krimineller und er ist Kranker.

Die Arbeit soll der Frage nachgehen, wer  an dem Diskurs beteiligt war, wie und in welchen Foren er geführt wurde und wie er schließlich endete. Was in dem Zeitraum von etwa 1879 bis 1934 als eigene Form von Wahn heiß diskutiert wurde, wird aktuell in ICD oder DSM lediglich als Unterform von Persönlichkeitsstörungen aufgelistet.

Außerdem soll untersucht werden, in welchem Rahmen die psychiatrische Diskussion um den Querulantenwahn geführt wurde, schließlich fällt sie in eben jene Zeit, in der sich die Psychiatrie als eigene medizinische Disziplin zu etablieren begann und die Hospitalisierungsrate in Nervenheilanstalten rasant zunahm – und in der gleichzeitig Rufe nach einer „Irrenrechtsreform“ sowohl von Fach- wie auch Laienpublikum laut wurden, was mitunter als erste „antipsychiatrische“ Bewegung bezeichnet wird. In diesem übergeordneten Zusammenhang erscheint gerade die Pathologisierung des Querulierens – des Sich-Entgegenstellens und Kritisierens – als ein besonders umstrittenes Beispiel dafür, wie die Psychiatrie ihr Blickfeld zu definieren begann.

Die Arbeit ist ein Forschungsbeitrag zur DFG-Forschungsgruppe „Kulturen des Wahnsinns 1870-1930“.

Lebenslauf
2009 Abitur in Berlin
2009 Medizinstudium Universität zu Lübeck

Betreuung: Prof. Cornelius Borck