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Studium generale

Geschlechtliche Vielfalt in Theorie und Praxis am Institut für Sexualwissenschaft.

„Über die Geschlechtszugehörigkeit eines Menschen entscheidet nicht sein Leib, sondern seine Seele“ (Magnus Hirschfeld)

Dr. Rainer Herrn (Berlin)

Wann: 6. Dezember 2023, 19-21 Uhr
Wo:
Hörsaal des IMGWF in der Königstraße 42 in Lübeck

Magnus Hirschfeld entwickelte im frühen 20. Jahrhundert seine Zwischenstufentheorie zur Überführung sexueller und geschlechtlicher Vielfalt aus der Krankheitslehre in eine „Naturordnung“. Aus ihr leitete er eine pragmatische Strategie zur medizinischen und juristischen Umsetzung des individuellen Empfindens nach Geschlechtszugehörigkeit seiner Patient*innen ab. Dabei operierte er zum einen mit den tradierten, dichotom und polar gedachten Geschlechtereigenschaften, zum anderen mit den Interpretationsspielräumen bei der Beschreibung sexueller und geschlechtlicher Kategorien, wie Homo-, Trans*- und Intersexuellen. Je nach subjektiv empfundener Zugehörigkeit der Person brachte Hirschfeld jene Geschlechtseigenschaften zum Vorschein, die eine Zuordnung zur gewünschten Kategorie ermöglichten und damit alltagsweltliche Erleichterungen bzw. weitreichende personenstandsrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen konnten. Dieses Vorgehen findet sich auch in der gutachterlichen und beraterischen Praxis seiner Mitarbeiter im Institut für Sexualwissenschaft (1919–1933).
 

Rainer Herrn ist Medizinhistoriker und war von 2008 bis 2023 als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Geschichte der Medizin und Ethik in der Medizin der Charité mit dem Schwerpunkt Psychiatriegeschichte, u.a. im Forschungsprojekt "Kulturen des Wahnsinns" tätig. Seit 1991 ist er außerdem an der Forschungsstelle zur Geschichte der Sexualwissenschaft der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft tätig. Seine Themen umfassen die Etablierung, Funktionen und Praktiken beider Disziplinen als Deutungs- und Umgangsweisen mit psychischer, geschlechtlicher und sexueller Diversität in der urbanen Moderne. Dazu hat er eine gewichtige Anzahl von Buch- und Aufsatzveröffentlichungen vorgelegt sowie Ausstellungen kuratiert und zahlreiche Vorträge gehalten. 2022 erschien von ihm im Suhrkamp Verlag Berlin das vielbesprochene Buch Der Liebe und dem Leid. Das Institut für Sexualwissenschaft 1919–1933.