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Lisa Schmidt-Herzog

Aktuelles Forschungsprojekt

 

Die Störung der Anderen. Negativität und Alterität in transkulturell-psychiatrischen Wissensordnungen

Das Promotionsprojekt fragt, inwiefern sich ausgehend von Erkenntnissen der Psy-Disziplinen eine historisch-epistemologisch fundierte Sozialontologie denken lässt. Richtungweisend dafür ist eine Rekonstruktion, Situierung und Gegenüberstellung bzw. Verbindung der Begriffe des*der Anderen und der Ver-anderung. Mit ihnen wird eine kritische Untersuchung der Fragen möglich, wer*was unter welchen Umständen als anders gilt, auf welche unausgesprochenen Normen derartige Existenzurteile verweisen, und wie die Erfahrung von Andersheit Räume eröffnen kann, in denen das gesellschaftliche Gegebene als ein anderes denkbar wird. Leitfaden und verbindendes Moment ist der Begriff der Negativität. Einerseits lässt sich mit ihm problematisieren, wie Konstruktionen z.B. von Krankheit oder von Gruppen-Identitäten und -Alteritäten Vorstellungen von verminderter Wirklichkeit der*des sogenannten Anderen suggerieren (bspw. wenn Krankheit als Privation von Gesundheit gilt oder ein nicht-kapitalistisches Volk als unter-„entwickelte“ Vorstufe einer Industrienation). Andererseits steht die Verbindung von Negativität und Alterität in einer philosophischen Tradition, mit der sich gerade ein strenger Binarismus wie der von Eigenem und Anderem kritisieren lässt, weil Dasein in ihr immer schon als Bewegung, Differenz und Werden gedacht wird, und somit als geschichtlich verfasst. Im Projekt wird daher für eine historische Epistemologie der kulturvergleichenden Psychiatrien argumentiert, mit der sich die Geschichtlichkeit wissenschaftlicher Wissensordnungen und ihrer onto-epistemischen Kategorien in den Fokus rücken lässt. Eine leitende Prämisse ist dabei, dass die Kritik an einem wissenschaftlichen Positivismus stets analog zur Kritik an einem historischen gedacht werden muss. Denn jedes wissenschaftliche „Faktum“, das Normales von Pathologischem oder Eigenes von Anderem unterscheidet, ist ein Urteil, das keiner „natürlich-objektiven“ Notwendigkeit folgt, sondern stets in einem historisch situierten und normierten Rahmen auftritt. Im Übergang vom Begriff des*der Anderen hin zur Ver-anderung knüpfe ich schließlich an negativistische Theorien an, die zweierlei ermöglicht haben: 1.) die ideologie- und machtkritische Adressierung von Praktiken, die darauf abzielen, den Normalwert wirklich und Abweichendes unwirklich zu machen; 2.) eine transformative Produktivität des Negativen oder des sogenannten Anderen zu denken, die sich nicht selbst wiederum als invertierte Positivität setzt, sondern als ver-andertes Bewusstsein wirkt. Wie sähen entsprechende Praktiken konkret aus? Und wie lässt sich davon ausgehend eine Sozialontologie denken, die einerseits Vorstellungen von einem substanziell Anderen verwirft, andererseits aber Andersheit als Differenz ernst nimmt, weil sie die eigenen onto-epistemischen Existenzurteile nur vor dem Hintergrund eines radikalen Bewusstseins für Negativität, Normativität und Geschichtlichkeit behauptet?