Skip to main content

Studium generale

Zerdacht, zerredet, verspottet und seiner Schönheit im Unwissen beraubt. Ein lautes Nachdenken über die Einsamkeit verbotener Geschlechter.

Annette Güldenring, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, Sexualmedizin und Vorsitzende des wissenschaftlichen Fachbeirates Hirschfeld Stiftung

Wann: 3. April 2024, 19-21 Uhr
Wo: Hörsaal des IMGWF in der Königstraße 42 in Lübeck

Der Vortrag beschäftigt sich mit der Geschichte geschlechtlicher Varianz, die lange verleugnet und exotisiert wurde. Er erzählt von ihrem ziellosen Suchen nach Identitäten und Körperlichkeiten, die keine Bezeichnungen, keine Vorbilder und keine Vorfahren kannten. Das Suchen war ein Abtasten in sich selbst, das sich stammelnd mitteilte und auf hilflose Blicke der Verwirrung, Überforderung und des Unwissens stieß, die sich zu Urteilen formten, ungerecht und verletzend. Begegnungen und Reden wurden im Keim erstickt.

Jahrzehnte gingen ins Land und die Themen um Geschlecht wurden zu einem Palavern und Tuscheln in Wirtshäusern, Ehebetten und Regierungsbänken. Dort redeten sie an den Möglichkeiten geschlechtlicher Vielfalt vorbei, sprachen Toasts mit Sekt und Bier über die bewährte und zugleich schützende Kleiderordnung. Aber hier und da erwuchs dennoch ein Innehalten und Nachfragen über sich selbst, geschlechtlich anders als die anderen zu sein. Ein Seiltanz, sich in einem eigenen Geschlecht ernst zu nehmen unter der Gefahr von Schmach und Ausgrenzung, die ein Zeugnis dafür ist, wie roh die Welt mit ihrem geschlechtlichem Kleinod umgeht, ohne zu sehen, was sie für sich verspielt.

Heute wird mehr und öffentlich über Geschlechtlichkeiten gesprochen. Manche probieren sich aus, formen für sich, für ihr Geschlecht, für ihr Fühlen und Tasten eigene Worte, für die es keinen Duden gibt. Für andere ist die Vielfalt des Geschlechtlichen eine nahezu existentielle Bedrohung, es bilden sich Fronten um ein „richtiges oder gesundes“ Geschlecht, durch alle Altersgruppen. Diese Fronten bergen Kampf und Gewalt und spitzen sich bedrohlich zu. Da wir alle ein Geschlecht haben, sind wir alle beteiligt. Es steht viel auf dem Spiel – für uns alle.

Der Vortrag bewegt sich nach einem geschichtlichen Rückblick in die Mitte der aktuellen Kontroversen, benennt die unterschiedlichen Positionen, Geschlecht in seinen individuellen Ausdrucksformen genießen zu können oder vernichten zu wollen. Der Vortrag möchte einladen, mitzufühlen, mitzudenken, mitzusprechen, Fragen zu stellen und Antworten zu finden. Dabei ist jedes geschlechtliche Selbst als wertvolle Einzigartigkeit herzlich Willkommen.

Annette Güldenring, Vorsitzende des wissenschaftlichen Fachbeirates der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld
Trägerin des Waltraud-Schiffels-Ehrenpreis für die Förderung des Trans-Empowerment
FÄ für Psychiatrie und Psychotherapie
Sexualmedizin
Supervision DGFS
http://www.annette-gueldenring.com

 

Annette Güldenring im Zeit-Sex-Podcast „Ist das normal? / Trans und Gender: „Man hielt uns für abartig, pervers und krank“.

2022 erhielt Annette Güldenring den ersten Ehrenpreis des Waltraud-Schiffels Fonds (https://www.hms-stiftung.de/de/Waltraud-Schiffels-Fonds/) für ihr langjähriges Engagement für trans* Personen. Ihre Rede hören Sie hier.

 

Letzte Publikationen:

Güldenring, A., Sauer, A., & Egener, K. (2022). Gender is So Much More: Impulses for a Gender-variant Gynecological Expertise from a Queer-theoretical Perspective. In M. Van Trotsenburg, R. Luikenaar, & M. Meriggiola (Eds.), Context, Principles and Practice of TransGynecology: Managing Transgender Patients in ObGyn Practice, Cambridge Univ. Pr., (pp. 56-65).

Güldenring, A., van Trotsenburg, M., Flütsch, N. (2019): Queering Medicine – Dringlichkeit ener bedürfnisorientierten und evidenzbasierten Transgendergesundheitsversorgung. J. Klein. Endokrinolog. Stoffw. Springer Austria, 12, 84-94. Doi.org/10.1007/s41969-019-00075-8

Güldenring, A., Stern, K*. 100 Jahre – Von Magnus Hirschfeld zur S3-Leitlinie und darüber hinaus: Körperorientierte Behandlungsverfahren als eine Option der Zukunft? In Nieder, T.O., Strauß, B. (2021): Geschlechtsinkongruenz, Geschlechtsdysphorie und Trans-Gesundheit. Eine kommentierte Dokumentation zur S3-Leitlinie. Gießen: Psychosozial-Verlag. 317-328.