Blog zum Studium generale der Universität zu Lübeck

Unsere Erde ist endlich!

Gastbeitrag: Verkehrspolitik

Die Reduzierung der CO2 Emissionen zur Begrenzung des weltweiten Temperaturanstiegs ist ein wichtiges Ziel, aber überhaupt nicht ausreichend um unsere Erde – die Einzige, die wir haben – vor den Katastrophen zu bewahren, wie sie schon vor 50 Jahren in den Szenarien des ersten Berichts des Club of Rome zur Lage der Menschheit1 beschrieben wurden.

  • Der Umstieg von den mit fossilen Treibstoffen angetriebenen Autos auf elektrisch betriebene Autos soll der Königsweg zur Verkehrswende sein.
  • Wasserstoff wird als das Öl der Zukunft beschrieben.2

Allein bei diesen beiden Beispielen wird vergessen, dass es in der Diskussion um den Zustand unserer Erde nicht nur um die Emissionen von CO2 geht, sondern vor allem auch die übermäßige Nutzung von Rohstoffen und Landflächen diskutiert werden muss.

Beispiel E-Autos

Der Kauf von E-Autos wird von der Bundesregierung mit bis zu 9.000 € pro Auto subventioniert. Dies führte im Jahr 2020 zu einer Verdreifachung der Zulassungszahlen gegenüber 2019 auf 194.000 Pkw mit reinem Elektroantrieb.

Was würde es für die Stromproduktion (s. Strommix) bedeuten wenn im Verlauf der Zeit alle heute vorhandenen Pkw in Deutschland durch E-Autos ersetzt werden? In Deutschland gibt es zurzeit etwa 48 Mio Pkw. Legt man nur den Energiebedarf eines Kleinwagens wie den Hyundai Ioniq Elektro Style mit 16,3 kWh/100 km zugrunde,3 und eine gefahrene Strecke von 10.000km pro Jahr, dann hätte jedes Auto pro Jahr einen Energiebedarf von 1.630 kWh. Der Ersatz von 48 Mio Benzinern durch E-Autos würde zu einem Bedarf an elektrischer Energie von 7,82 x 1013 Wh pro Jahr = 78,2 TWh pro Jahr führen. Dies sind etwa 43% der Energie aus Photovoltaik und der Windenergie in Deutschland im Jahr 2020, die zusätzlich allein für den Betrieb von E-Autos zur Verfügung stehen müssten.4

Ein E-Auto emittiert im Fahrbetrieb zwar kein Kohlenstoffdioxid, aber für die Produktion, die Wartung und Entsorgung ist die Emission mindestens genauso groß wie die eines Autos mit Verbrennermotor. Außerdem werden für die Herstellung der Batterie eines E-Autos Materialien wie Lithium und Cobalt, verwendet, die knapp werden können und teilweise unter zweifelhaften Umständen gewonnen werden.56

Wasserstoff - Das Öl von morgen!?

Eine wesentliche Emissionsquelle für CO2 ist die Herstellung von Stahl, der vermutlich auch weiterhin für den Bau von Autos benötigt wird. Für die Reduktion von Eisenerz zu Eisen wird nämlich Kohlenstoff verwendet, der bei den chemischen Reaktionen zu Kohlenstoffdioxid umgesetzt wird. Nun kann man zu Recht einwenden, dass man ja anstelle von Kohlenstoff Wasserstoff für die Reduktion von Eisenoxidverwenden könnte, wie es zurzeit beispielsweise bei Thyssen Krupp in Duisburg-Hamborn geschehen soll.7 Der Wasserstoff dürfte dann aber nicht aus Rohstoffen auf Erdölbasis gewonnen werden, wie dies heute noch vielfach üblich ist, sondern müsste beispielsweise durch die Elektrolyse von Wasser hergestellt werden. Die elektrische Energie hierfür müsste dann natürlich auch aus erneuerbaren Quellen stammen, also beispielsweise Sonnenenergie oder Windenergie.

Wenn Wasserstoff die Rolle des Öl als Treibstoff und in der Chemischen Industrie einnehmen soll, dann ist ein gewaltiger Umbau in der einschlägigen Industrie erforderlich, der mit einem sehr großen Bedarf an Rohstoffen verbunden ist, da die Produktionsanlagen für Wasserstoff, die Industrieanlagen, in denen Wasserstoff genutzt wird und auch die Brennstoffzellen neu gebaut werden müssen. Auf die zweifelhaften Umstände, unter denen diese Rohstoffe teils gewonnen werden, ist immer wieder hingewiesen worden ( s. beispielsweise das Papier zum Rohstoffbedarf für Batterien und Brennstoffzellen des Öko-Instituts Darmstadt8).

Um Wasserstoff zu gewinnen und dann für einen Prozess zu nutzen, sind mehrere Schritte notwendig, die zu mehr oder weniger großen Energieverlusten in Bezug auf die eingesetzte Energie führen (s. Schema).

Bei der Umwandlung von Sonnenenergie in elektrische Energie durch Solarzellen beträgt der Wirkungsgrad9 etwa 20%.10 Dies bedeutet 20% der eingestrahlten Sonnenenergie wird in elektrische Energie umgewandelt. Dies ist nur insofern von Bedeutung, als dass ein kleinerer Wirkungsgrad eine größere Solarzellenfläche erfordert. Beim nächsten Schritt, der Elektrolyse von Wasser erreicht man mit einem PEM Elektrolyseur einen Wirkungsgrad von etwa 60%.11 Wird die im Wasserstoff enthaltene Energie in einer Brennstoffzelle wieder in elektrische Energie umgewandelt, dann geschieht dies mit einem Wirkungsgerad von etwa 50%.12 Damit stehen etwa 30% der ursprünglich an der Solarzelle zur Verfügung gestellten elektrischen Energie für den Elektromotor zur Verfügung.

Was ist zu tun?

Die beiden hier diskutierten Bespiele zur Verkehrswende und zur Energiewende können durchaus zu einer Reduzierung der CO2 – Emissionen und damit auch zu einer Reduzierung des derzeitigen Temperaturanstiegs führen. Allerdings reicht eine rein technische Umstellung ohne weitere Änderungen nicht aus. Vielmehr bedarf es einer Wirtschaft, die nicht das "Immer mehr", zum Ziel hat. Es bedarf einer Wirtschaft, die allen Menschen ein ausreichendes Einkommen, ausreichend Wasser und Nahrung, Zugang zu Bildung und Ausbildung sowie eine ausreichende ärztliche Versorgung ermöglicht, um die Ursachen für unerwünschte und unfreiwillige Migrationsbewegungen zu beseitigen.

Für die Verkehrspolitik, beispielsweise, bedeutet dies, den Individualverkehr mit dem Pkw zugunsten eines öffentlichen, auch in der Fläche verfügbaren Nahverkehrsangebotes weitgehend überflüssig zu machen. Was ist eigentlich so schön und befriedigend daran, am Morgen alleine mit dem Auto - oft im Stau stehend - zur Arbeit zu fahren, das Auto acht Stunden auf dem Firmenparkplatz stehen zu lassen und dann, möglicherweise wieder im Stau stehend, zurück nach Hause zu fahren? Auch in der Region Lübeck sollte es doch möglich sein, einen öffentlichen Nahverkehr zu organisieren, der sich an dem jeweiligen Bedarf orientiert und die Mobilität auch für die Bewohner*innen der Dörfer sicherstellt und den Individualverkehr und damit auch den Besitz eines Pkw überflüssig macht. Dies kann sicherlich nicht durch einen gewinnorientierten Betrieb geleistet werden, sondern der öffentliche Nahverkehr muss ein Teil der Daseinsvorsorge in der Stadt und auf dem Land sein. So wie man sich heute nicht mehr vorstellen kann in einem Restaurant zu rauchen, so sollte es in fünf bis spätestens zehn Jahren cool sein öffentliche Verkehrsmittel gemeinsam mit anderen Menschen zu nutzen und nicht einsam und alleine  in einem Pkw durch die Stadt zu fahren.

Während der Corona – Pandemie hat die Menschheit erfahren, dass alle Organismen dieser Erde – Viren, Bakterien, Pflanzen, Tiere und die Menschen – ein Teil des Systems Erde, das wir auch Natur nennen, sind und auch die Menschen sich nicht von diesem System abkoppeln können. Kein Teilsystem dieser Erde kann unbegrenzt wachsen, denn unsere Erde ist ein endlicher Raum mit endlichen Ressourcen. Am Beispiel einer Bakterienkultur auf einer Petrischale wird dies unmittelbar deutlich. Eine winzige Menge von Bakterien auf dem Nährboden in der Petrischale ist mit bloßem Auge nicht zusehen. Die Bakterien haben Platz, haben ausreichend Nahrung und können sich unbeschränkt vermehren. Dies führt zunächst zu einem exponentiellen Wachstum bis die Nahrung und der Platz knapp werden. Das Wachstum der Bakterienkultur nimmt ab und die Bakterien sterben ab falls nicht eingegriffen wird.

Die Erde ist ein endlicher Raum mit endlichen Ressourcen, aber die Menschheit handelt immer noch so, als ob beliebige Mengen an Ressourcen zur Verfügung stehen. Es ist höchste Zeit, dass auch die Menschen eine Kreislaufwirtschaft betreiben, in der Rohstoffe wieder verwendet werden und es keine Abfälle gibt.13

Anmerkungen und Referenzen

Dieser Text ist ein Denkanstoß und kein wissenschaftlicher Beitrag zum Thema „Klima – Wandel – Denken“. Allerdings habe ich mich bemüht meinen Denkanstoß auf einer fachlich korrekten Grundlage zu formulieren. Ich habe mich in diesem Text nur mit der Situation in Deutschland beschäftigt, bin mir aber wohl bewusst, dass tatsächlich die Situation auf der ganzen Erde betrachtet werden muss. Ein besonderes Anliegen ist mir dabei die Situation in den afrikanischen Staaten.

Gastautor: Wolfgang Czieslik


1 Dennis Meadows, Die Grenzen des Wachstums, Deutsche Verlags-Anstalt Stuttgart 1972.
2 Gespräch mit Bundesforschungsministerin Anja Karliczek, Spiegel Nr. 5 / 25.1.2020, S.34.
3www.adac.de/rund-ums-fahrzeug/tests/elektromobilitaet/stromverbrauch-elektroautos-adac-test/.
4strom-report.de/strom.
5 Wie umweltfreundlich sind Elektroautos?, Bundesumweltministerium, Oktober 2019.
www.bmu.de/fileadmin/Daten_BMU/Pools/Broschueren/elektroautos_bf.pdf.
6 Wirtschaftswoche, 15. November 2017, www.wiwo.de/technologie/mobilitaet/lithium-und-kobalt-bremsen-rohstoff-engpaesse-das-elektroauto-aus/20560144.html.
7de.wikipedia.org/wiki/Stahlerzeugung.
8 Öko-Institut (2017): Strategien für die nachhaltige Rohstoffversorgung der Elektromobili-tät. Synthesepapier zum Rohstoffbedarf für Batterien und Brennstoffzellen. Studie im Auftrag von Agora Verkehrswende.
9 Die hier und im Folgenden genannten Wirkungsgrade sind mittlere Werte und hängen von der Bauart der Geräte ab. Diese Werte dienen ausschließlich zur Orientierung.
10www.photovoltaik.org/wissen/photovoltaik-wirkungsgrad.
11de.wikipedia.org/wiki/Elektrolyseur.
12de.wikipedia.org/wiki/Brennstoffzelle.
13 Siehe auch Maja Göpel, Unsere Welt neu denken, Ullstein Buchverlage, Berlin 2020.


Kommentare

Wolfram Eckloff
09.02.2021

Den Ausführungen von Herrn Czieslik kann man nur zustimmen. In der Konsequenz beschreibt er die Notwendigkeit, außer eines Umstiegs auf Erneuerbare auch etwas sehr Unbequemes ins Auge zu fassen, das auch in der Wahstumskritik nur selten explizit gesagt wird: bescheidener zu werden! Was würde uns wirklich fehlen (dies gilt ausdrücklich nur für die entwickelten Industrieländer!), wenn wir unseren Produktions- und Konsumstandard auf einem Niveau von 2010 oder gar früher einfrieren würden. Prof. Meinhard Miegel hat diese Forderung mit einem begründeten positiven Blick in die Zukunft verbunden in seinem neuen Buch ""Das System ist am Ende - das Leben geht weiter". Zusammengefasst finden Sie seinen horenswerten Essay unter https://oekom-podcast.podigee.io/ .

S. Göhler
08.02.2021

Vielen Dank für den präzisen Artikel und die Quellensammlung dazu.
Unter dem Punkt "Was ist zu tun?" erhoffe ich weitergehende konkrete Formulierungen politischer Ziele auf regionaler und globaler Basis. Die Wachstumskritik alleine reicht nicht, sie läuft seit Jahrzehnten ohne Auswirkungen auf unsere Wirtschaftspolitik, die weiterhin die existenzielle Notwendigkeit des Wachstums außer Frage stellt.
Wir wünschen vieles, doch ausufernder Konsum und das globale Bevölkerungswachstum bleiben von unseren Wünschen unberührt.
Die LIDL-Aktion "Bauernsoli" hat es gezeigt: Wenn das Kilo Fleisch einen Euro mehr kostet, gehen die Kunden zu ALDI, REWE usw., die sich nicht nur unsolidarisch zeigen, sondern obendrein während der LIDL-Aktion mit Billigstangeboten locken.
Welche politischen Ziele sind zu verfolgen? Sie können nur in Richtung "Mehr Regulierung" gehen.
Dazu bedarf es einer neuen politischen Partei.

Prof. Dr. Hans-Dieter Barke
05.02.2021

Herr Dr. Czieslik hat erstaunlich kurz und präzis die heutige industrielle Entwicklung in Zeiten des Klimawandels skizziert. Insbesondere weist er auf die endliche Erdoberfläche und ihrer Resourcen hin, wünscht uns ein Mehr an Recycling und eine Kreislaufwirtschaft. Glückwunsch!

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