Biophänomenologie
Wie Anthropo-Technologien und Biopolitik das Leben ordnen
(Buchmanuskript in Vorbereitung)
Leben entzieht sich, Sinn drängt sich auf.
Wir leben im Jahrhundert der Biopolitik, einer spezifischen Form der Biopolitik. Das bedeutet, dass das Leben im Mittelpunkt des Politischen steht. Das Politische wird jedoch von kapitalistischen Marktinteressen und medizinischen Praktiken der Biowissenschaften bestimmt. Biopolitik betrifft nicht nur medizinische Praktiken, wie die pränatale Diagnose oder Fragen über Enhancement, sie betrifft die conditio humana, unsere Natalität und Mortalität, aber auch jeden Bereich, in dem unser Leben mit dem Leben mindestens eines Anderen verwoben ist – sei es für das Überleben oder schlicht miteinander leben.
In meinen Überlegungen möchte ich die Idee umreißen, dass ein besonderer phänomenologischer Ansatz, den ich Biophänomenologie nenne, aufschlussreich wäre, um den Begriff und die Bedingungen der Erfahrung des Lebens zu klären, die durch biopolitische Regime und Diskurse eingeführt und organisiert werden. Biophänomenologie setzt voraus: die Erweiterung von Edmund Husserls Idee einer generativen Phänomenologie, die Umwendung von Maurice Merleau-Pontys Leibphänomenologie sowie Hannah Arendts kritische – ja, biopolitische – Arbeiten über 'Natalität' und 'Leben'.
In Anerkennung der Verflechtung von biotechnologischen Verfahren und gelebtem Leben befasst sich die Biophänomenologie mit dem gelebten Lebens, seiner Relationalität und Generativität, Verbreitung und Übertragung im Hinblick auf das "Datenleben" in der pränatalen genetischen Diagnostik, das "Leben geben" in der Transplantationsmedizin, das "Leben managen" in Migrationsprozessen oder der "Verflechtung von Leben und Technik". Was bedeutet es, vor der Geburt genetisch getestet zu sein? Diese Frage macht deutlich, dass sich die Kontingenz der Geburt verwandelt hat hin zur Regulation und Prädiktion.
Die Hauptfrage ist: Wie verändern und gestalten biotechnologische Interventionen die (mit-)menschlichen Bedingungen des Lebens in der Welt mit Anderen?
Diese Frage berührt die Bedingungen der conditio humana, der Erfahrungen und der Beziehungen zwischen den Generationen im 21. Jahrhundert. Mit dieser Frage wird auch die Biopolitik neu gedacht werden müssen.
Publikationen:
Schües, Christina: Das Versprechen der Geburt, in: Olivia Mitscherlich, Rainer Anselm (Hgs.): Gelingende Geburt in der Diskussion. Berlin: DeGruyter (forthcoming 2020).
Schües, Christina: Das „Leben“ in biophänomenologischer Perspektive: Ein transhumanes Paradigma. In: Delhom, Pascal/Hilt, Annette (Hg.): Das Leben denken. Philosophische Anthropologie und Lebensphilosophie im deutsch-französischen Gespräch. Freiburg: Alber 2018, S. 219 - 247.
Schües, Christina: The Trans-human Paradigm and the Meaning of Life, in: Future Directions in Feminist Phenomenology, H. Fielding u. D. Olkowski (eds.), Bloomington: Indiana University Press, 2017, pp. 218 - 241.
Schües, Christina: Improving Deficiencies? Historical, Anthropological, and Ethical Aspects of the Human Condition, in: M. Eilers, K. Grüber, C. Rehmann-Sutter (eds.): The Human Enhancement Debate and Disability. New Bodies for a Better Life, Hampshire: Palgrave 2014, p. 38 - 63.
Radiobeiträge:
14. Juni 2015, WDR5:
Die Vermessung der Leibesfrucht. In der Reihe: Am Anfang des Lebens (2/4).
07. Juni 2015, WDR5:
Die Natur der Existenz. In der Reihe: Am Anfang des Lebens (1/4).
06. Juni 2015, SWR2 Wissen, Radio Akademie:
Leben nach Plan – Optimierter Anfang, kontrolliertes Ende. Aus der 12-teiligen Reihe: "Die Grenzen des Erlaubten".
28. Januar 2015, Deutschlandradio Kultur:
Interview: Kinder dürfen wissen, wer ihr Vater ist.
