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S-Projekte

Systemische Mechanismen und Beziehungen

Die S-Projekte werden sich auf die Analyseebenen von Organismen bis zu Gesellschaften konzentrieren. Wir werden die Auswirkungen der Diversität auf Erkrankungen und auf die Verhaltens-, Wahrnehmungs-, kulturellen und rechtlichen Prozesse der Diversifizierung von Geschlecht und Gender untersuchen und klären. Zu den systemischen Ebenen gehört notwendigerweise das, was wir als "epistemische Metaebenen" bezeichnen können, auf denen methodische und konzeptionelle Reflexionen stattfinden können.

Was sind die Determinanten, Bedeutungen und Auswirkungen von Geschlecht in interagierenden biologischen, medizinischen und soziokulturellen Systemen? Die systemische Ebene geht von Geschlecht als menschlicher Variable aus, die sowohl biologisch-materielle als auch soziokulturelle Kontexte umfasst. Hier wird die Beziehung zwischen Sex und Gender von Bedeutung sein. Die S-Projekte zeigen einen hohen Grad an Inter- und Transdisziplinarität. So verwenden einige der Projekte naturwissenschaftliche Methoden und operationalisieren Geschlecht vor einem biomedizinischen, psychologischen und neurowissenschaftlichen Hintergrund. Andere Projekte forschen mit Methoden aus den Geistes- und Sozialwissenschaften und mit Ansätzen aus der Wissenschafts- und Medizingeschichte, den Science Studies, der Ethik oder den Gender Studies. Diese Pluralität spiegelt sich in den Konzeptualisierungen und Operationalisierungen von Geschlecht im Forschungsstand der verschiedenen Disziplinen wider: Während die Naturwissenschaften lange Zeit von essentialisierenden binären Modellen ausgingen, ist in den Geistes- und Sozialwissenschaften ein Verständnis für die Kontextualität und Formbarkeit von Geschlecht bereits stärker etabliert. Die S-Projekte werden daher bahnbrechende Forschungsarbeiten durchführen, die über den binären Rahmen hinausgehen und den biomedizinischen Stand der Wissenschaft erweitern. Die geistes- und sozialwissenschaftlichen Projekte werden untersuchen, wie sich unser derzeitiges Verständnis von Geschlecht im Laufe der Zeit bis heute verändert hat, insbesondere seit der Einführung von Änderungen des rechtlichen Rahmens. Sie werden das biologische Geschlecht als einen Ort der Macht und Politik analysieren, der mit verschiedenen sozialen Kontexten interagiert, einschließlich - in einer selbstreflexiven Wendung - dem Kontext des Sonderforschungsbereichs (SFB) selbst.

S01: Impact of steroid hormones on brain networks of affective behavior

In diesem Projekt soll untersucht werden, wie Steroidhormone die Funktion des menschlichen Gehirns jenseits der Annahme eines neuronalen Sexualdimorphismus organisieren. Dazu werden zwei DSD-Gruppen - Personen mit adrenogenitalem Syndrom (AGS) oder kompletter Androgeninsensitivität (CAIS) - untersucht, da sie an den extremen Enden der Androgenexposition liegen. Das Projekt wird sich auf das affektive Verhalten konzentrieren, da die diesem Verhalten zugrunde liegenden neurobiologischen Schaltkreise reich an Steroidhormonrezeptoren sind und nachweislich durch Steroidhormonspiegel moduliert werden.

Prof. Dr. rer. nat. Ulrike M. Krämer, Dipl. Psych.
Universität zu Lübeck
Klinik für Neurologie

Prof. Dr. med. Nicole Reisch
Ludwig-Maximilians-Universität München
Medizinische Klinik IV, Klinikum der Universität München

S02: Diversity of sex-related mortality and outcome in preterm infants and neonates

Im Rahmen des Projekts werden polygene Scores entwickelt, die Vorhersagen für Steroidhormone nach der Geburt ermöglichen. Anstelle eines essentialisierenden Binarismus wird das Projekt das Konzept der "Geschlechtervielfalt" als genetisch bedingte Steroidhormonspiegel operationalisieren. Über das bestehende Deutsche Neugeborenennetzwerk (GNN) werden in den ersten 48 Lebensstunden Blutproben entnommen und in Zusammenarbeit mit dem Projekt M06 und deren Serviceeinheit für Steroidmessungen ein Hormonprofil erstellt und die entsprechenden polygenen Scores berechnet.

Prof. Dr. med. Wolfgang Göpel
Universität zu Lübeck
Klinik für Kinder- und Jugendmedizin

Prof. Dr. rer. biol. hum. Inke R. König
Universität zu Lübeck
Institut für Medizinische Biometrie und Statistik

S03: Obesity as a model of sex diversity in steroid metabolism

Das Projekt S03 wird die Hypothese testen, dass Adipozyten von fettleibigen weiblichen Probandinnen Steroide vom Androgentyp produzieren und freisetzen, während Adipozyten von fettleibigen männlichen Probanden Steroide vom Östrogentyp produzieren, was zu einem "pseudo-intersexuellen Steroidphänotyp" führt. Zu diesem Zweck werden Präadipozyten und reife Fettzellen aus Biopsien des Fettgewebes von schlanken weiblichen und männlichen Kontrollpersonen sowie von fettleibigen weiblichen und männlichen Probanden isoliert. Der zelluläre Steroidhormongehalt sowie das Sekretom werden mittels gezielter LC-MS/MS und NMR-Spektroskopie analysiert (in Zusammenarbeit mit dem Projekt M06 und dem Hormonmessdienst sowie dem Projekt M05). Die ex vivo Biopsie Ergebnisse werden nachfolgend in vivo in humanen Querschnittskohorten sowie longitudinalen und interventionellen Kohorten untersucht und mit multiplen organischen und psychosozialen Phänotypen in Zusammenhang gebracht.

PD Dr. med. Isabel Frielitz-Wagner
Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg
Universitätsklinikum Magdeburg, Universitätskinderklinik

Prof. Dr. med. Matthias Laudes
Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
Klinik für Innere Medizin I, Bereich Endokrinologie, Diabetologie und Klinische Ernährungsmedizin

S04: Sex/Gender knowledge in transition? The individual meaning of sex/gender and ‘doing gender’ in the context of the introduction of a legal third sex/gender option

Im Rahmen des Projekts werden qualitative Interviews durchgeführt und analysiert, ob und wie sich die Einführung der dritten Geschlechtsoption auf das Verständnis der Befragten von Geschlecht und Gender auswirkt, ob und unter welchen Umständen sie die Wahl der "dritten Option" in Betracht ziehen oder nicht, und ob sich im Kontext der rechtlichen und sozialen Veränderungen in Bezug auf ihr Wissen über Geschlecht und ihre Prozesse des "doing sex/gender" ergeben.

Dr. rer. hum. biol. Martina Jürgensen
Universität zu Lübeck
Klinik für Kinder- und Jugendmedizin, Sektion Pädiatrische Endokrinologie und Diabetes

S05: Normative implications of human rights of persons with DSD in a non-binary legal world

Mit einer qualitativen Studie und mit einem biografisch-hermeneutischen Ansatz untersucht das Projekt Situationen, Bedürfnisse und Anliegen von Menschen mit DSD und nicht-binären Geschlechtsidentitäten. Es sollen normative Probleme identifiziert werden und Vorschläge für Gesetze und medizinethische Ethik entwickelt werden, die die Menschenrechte von Menschen mit DSD und nicht-binären Geschlechtsidentitäten respektieren. Empirische Ethik, kritische rechtswissenschaftliche Gender-Analyse und internationale Rechtsvergleichung werden kombiniert.

Prof. Dr. Anna Katharina Mangold, LL.M. (Cambridge)
Europa Universität Flensburg
Abteilung Europa- und Völkerrecht

Prof. Dr. phil. dipl. biol. Christoph Rehmann-Sutter
Universität zu Lübeck
Institut für Medizingeschichte und Wissenschaftsforschung

Nähere Informationen finden Sie hier.

S06: “Bringing Gender into Science – and Back!” Historical and Ethnographic Perspectives on Sex Development Research

Ausgehend von Perspektiven der Wissenschaftsgeschichte und der feministischen Wissenschaftskritik geht das Projekt davon aus, dass das biologische Wissen über Geschlechtsentwicklungsprozesse in den Lebenswissenschaften immer schon durch normative Annahmen und kulturelle Vorstellung von Geschlecht geprägt ist, die wiederum biologische Theorien und Konzepte sexueller Differenz in der Biologie beeinflussen.

Dr. phil. Birgit Stammberger
Universität zu Lübeck
Zentrum für Kulturwissenschaftliche Forschung (ZKFL)

Prof. Dr. phil. Heiko Stoff
Medizinische Hochschule Hannover
Institut für Ethik, Geschichte und Philosophie der Medizin

S07: "The Third Option". On the emergence of the category "Divers" as a recognized societal reality between intersex* activism, life sciences, jurisprudence, ethics and gender theory

Dieses Projekt wird den Wandel unseres Verständnisses von DSD in den letzten 40 Jahren nachzeichnen und die Konflikte, Interaktionen, Synergien und Dynamiken der Aushandlungen und Bedeutungszuweisungen im Detail rekonstruieren. Dazu werden umfangreiche historische Dokumente aus fünf Bereichen (Biowissenschaften, Intersex-Aktivismus, Gender Studies, Rechtswissenschaft und christliche Theologie/Ethik) analysiert und Expert*inneneninterviews mit relevanten Akteur*innen aus diesen Bereichen geführt.

Prof. Dr. rer. nat. Kerstin Palm
Humboldt-Universität zu Berlin
Institut für Geschichtswissenschaften/ Wissenschaftsgeschichte

S08: The Diverse Psyche in Therapy: A History of Sex/Gender Knowledge in West German Psychotherapy (1960–2020)

Das Projekt zielt darauf ab, historische Verläufe von Geschlechter-Wissen in drei Feldern zu identifizieren und charakterisieren: (1) hegemoniale Psychotherapien und klinische Psychologie; (2) psychologisches Wissen in der Frauen-, Schwulen- und Lesben- sowie der LGBT*IQ-Bewegung; und (3) Zeitzeug*inneninterviews. Diese Interviews werden mit Aktivist*innen, Psychotherapeut*innen als auch ehemaligen psychotherapeutischen Patient*innen durchgeführt. Das Projekt nimmt die Psychotherapie als Kontext für Geschlechtervielfalt in den Blick, der in seiner Relevanz bislang übersehen wurde.

Prof. Dr. phil. Dipl.-Psych. Lisa Malich
Universität zu Lübeck
Institut für Medizingeschichte und Wissenschaftsforschung

Prof. Dr. rer. nat. Kerstin Palm
Humboldt-Universität zu Berlin
Institut für Geschichtswissenschaften/ Wissenschaftsgeschichte

S09: Medicating Sex: Medico-historical perspectives on hormone products, patient experiences, and the science and practice of sex diversity, c. 1950–1990

Das Projekt betrachtet die Geschlechtervielfalt aus einer medizinhistorischen Perspektive. Es zielt darauf ab, die Geschichte der pharmazeutischen Produkte nachzuzeichnen, die direkt oder indirekt im Zusammenhang mit dem Geschlecht einer Person entwickelt oder diskutiert wurden. Es wird untersucht, wie die Konzepte von Sex/Gender mit der Verwendung von Hormonpräparaten beim Menschen und der Debatte darüber zusammenhingen.

Prof. Dr. phil. Birgit Nemec
Charité Berlin
Institut für Geschichte der Medizin und Ethik in der Medizin

Forschung
Universität zu Lübeck Sonderforschungsbereich Sexdiversity